Bildbeschreibung
"Wie ein meditierender Philosoph oder Dichter sitzt hier ein
weisser Hund auf seinen Hinterbacken und betrachtet aufmerksam eine Urlandschaft,
die fast von dem Tier auszustrahlen scheint."1
"Wir berühren hier den zentralen Vorsatz der Kunst von Marc:
einzudringen in das Bewusstsein des Tieres."2
"Gibt es für den Künstler eine geheimnisvollere Idee als
die, wie sich wohl die Natur in den Augen eines Tieres spiegelt? Wie sieht
ein Pferd die Welt oder ein Adler, ein Reh oder ein Hund? Wie armselig,
seelenlos ist unsere Konvention, Tiere in eine Landschaft zu setzen, die
unseren Augen zugehört statt uns in die Seele des Tieres zu versenken,
um dessen Bilderkreis zu erraten."3
"Eine solche Versenkung in die Seele eines Hundes hatte Marc mit
diesem Bild im Sinn. (...) In schmelzenden Regenbogenfarben gemalt,
die ihrerseits durch die jüngste malerische Revolution in Frankreich
beeinflusst sind, wird sie zu einem spirituellen Land Oz, wo sich die
angedeuteten Stein- und Felsformationen in eine lichterfüllte
Traumlandschaft verwandeln. Was die statische, kontemplative Haltung des
Hundes anlangt (er sitzt mit halb abgewandten Kopf, damit wir uns in dieses
fühlende Wesen leichter hineinversetzen können), so entspricht
sie der alten Tradition der deutschen Romantik, einsame, sehnsüchtig
und träumerisch in die Betrachtung einer Landschaft versunkene Menschen
(noch keine Hunde) darzustellen - man denke etwa an die verbannte
Iphigenie bei Feuerbach oder die anonymen Naturliebhaber bei C.D.
Friedrich. Und da sich Marc auch eingehend mit der Symbolik der Farben
auseinandersetzte, ist das Weiss des Hundes vermutlich ein Sinnbild urchristlicher
Reinheit."4
Zur Ikonographie des Figurenbilds in Marcs Tierdarstellung
"Solcher Art ist das Vorhaben, in dessen Dienst Marc den langbewährten,
gerade in seiner Ausrichtung auf Transzendenz so suggestiven Identifikations-Sog
der Rückenfigur nimmt, ihn vom Menschen auf das Tier umschichtend.
Auch den Hund, von dem im vorstehenden Zitat die Rede ist, hat Marc auf
diese Weise in Szene gesetzt. Lankheit hat im Blick auf dieses Bild, dessen
Titel ursprünglich 'So sieht mein Hund die Welt' lautete,
auf eine Äusserung hingewiesen, die Marc auf einem Spaziergang mit
seiner Frau und Hund Russi machte. Marc zeigte auf den sitzenden Hund
und sagte: 'Ich möchte' mal wissen, was jetzt in dem
Hund vorgeht.'5 Diesmal ist
das Tier nicht exakt vom Rücken gesehen, sondern in einer Dreiviertelansicht
von hinten, der Kopf erscheint im schwindenden Profil. Der Betrachter
erhält dadurch ein Teil Einblick in das Gegenüber von Tier und
Landschaft, er sieht mit den Augen des Tieres und zugleich ihm über
die Schulter. Die Verbindung von Sitzen und schauender Wendung hinein
in landschaftliche Ferne, auch sie mit dieser Grundsätzlichkeit und
Ausdruckskraft ein Novum in der Gattung des Tierbildes, hat ihren Prototyp
in einer der populärsten Bildprägungen des deutschen neunzehnten
Jahrhunderts. Klassizistischer Idealismus im geheimen Einverständnis
mit der heraufkommenden Gründerzeit, übersetzt Feuerbachs 'Iphigenie'
Friedrichs schmales Pathos der Nüchternheit in eine kühle Opulenz.
Die Kunst um 1900 in Deutschland ist für diese Prägung von einer
geradezu epidemischen Anfälligkeit gewesen. Die Adaptionen, die man
beim Durchblättern der Kunstzeitschriften jener Zeit findet, bis
hin zur Verdoppelung zum Paar, sind Legion. Dabei wird gern die Konsonanz
von Figur und Landschaft gegenüber dem Vorbild noch verstärkt
(und damit vergröbert): die sehende Melancholie des verlorenen
Profils durch einen Fond von Zypressen amplifiziert, der Blick ans letzte
Segment der untergehenden Sonne geheftet. Prinzipiell gleich verfährt
Marc in der Direktheit, mit der er die Formationen der Hochgebirgsgegend
auf die Silhouette und die in ihr beschriebene psychische Verfassung
des Hundes eingehen lässt."6
"Gern rückt Marc das Tier so nahe an den Betrachter heran,
dass es vom unteren Bildrand überschnitten wird. Wie die Rückenansicht,
und häufig in Verbindung mit ihr, fördert die Verringerung der
Distanz die Bereitschaft des Betrachters, sich in Gemeinschaft mit dem
Tier zu empfinden, sich in eins mit ihm zu setzen. Das gilt, in je verschiedener
Weise, für die Tiergruppe ebenso wie für das einzelne Tier."7
"Gerade durch den Rückgriff auf das anspruchsvolle Figurenbild
betont also Marc die Fremdheit des Tieres, seine Unzugänglichkeit
in einer dem Menschen fremd bleibenden Welt. Das in die Ferne blickende
Tier wird für den Betrachter potenziert zum Sehnsuchtsträger.
Mit dem ihm unerreichbar fremden Tier, dem seine Sympathie gilt,
sehnt sich der Betrachter nach etwas Ferngelegenem."8
Kunst und Kult: Vom Religiösen zum Geistigen
"In solcher Wesensschau, die das schauende Subjekt mit dem angeschauten
Objekt eins werden lässt, wird das Tier für den Menschen zum
Ort der Transzendenz." (...) "Was an diesem Ort gestillt wird,
ist" 'die Sehnsucht nach dem unteilbaren Sein, nach Befreiung
von den Sinnestäuschungen unseres ephemeren Lebens', -
"die Sehnsucht, die nach Marc 'die Grundstimmung aller Kunst'9 ist."10 "Der Kunst ist damit letztlich eine religiöse Funktion
zugedacht, nämlich die der Erlösung."11 "In
Marcs kultischem Konzept von
Kunst wird das Tier zum sakralen Objekt. Die Religion, die Marc meint,
ist nicht mehr die christliche, aber eine säkularisierte Abformung
der christlichen: In ihr tritt, verkürzt beschrieben, an die Stelle
des Heiligen Geistes das ,Geistige' und an die Stelle des Erlösers
das Tier."12 Im
Wechsel vom Figuren- zum Tierbild "bedeutet dieses Projekt
einer radikalen Neuorientierung der Kunst die Umkehrung einer Rangfolge.
Die Figurenkomposition, als biblische, mythologische, historische
oder allegorische Szene, stand bisher in der Hierarchie der Bildgattungen
an oberster Stelle. (...) Nicht in ihre Funktion, aber in ihre Position
an der Spitze der Hierarchie lässt Marc nun das bisher in einen niederen
Rang eingestufte Tierbild durch das Vorhaben aufrücken, es zum primären
Medium eines Verstehens zu machen, das nicht mehr die Welt dem Menschen
anpasst und unterwirft, sondern den Menschen wieder eingliedert in eine
sich selbst zurückerstattete Welt."13 "Es kommt nicht zur erlösenden Aufhebung der Fixierung des
Menschen auf sich selbst, sondern zu ihrer erneuten Bestätigung.
Es findet nicht die Animalisierung des Betrachters, sondern die Anthropomorphisierung
des Tieres statt."14
Der Krieg als Fortsetzung von Kunst?
"In einer fatalen Totalisierung seiner Ideen übertrug Franz
Marc seine okkultistischen Gedanken schliesslich auf den Ersten Weltkrieg."15
Wie viele andere Künstler seiner Epoche erhoffte er "sich
von diesem Kampf eine totale 'Reinigung' und 'Erneuerung'
des Bewusstseins, das die Menschen für die Radikalität ihrer
Kunst reifmachen würde. Nicht wenige waren dazu verführt, den
Krieg als Fortsetzung des künstlerischen Kampfes anzusehen,
der hemmende Traditionen zerstören und geistige Kräfte freisetzen
konnte."16
1 Robert Rosenblum,
Der Hund in der Kunst: vom Rokkoko zur Postmoderne, Wien 1989, S. 77.
2 Johannes
Langner, Iphigenie als Hund: Figurenbild im Tierbild bei Franz Marc,
in: Franz Marc 1880 - 1916, Ausstell.-Kat. Städtische Galerie im
Lenbachhaus München, München 1980, S. 56.
3 Franz
Marc, Schriften, Hrsg. v. Klaus Lankheit, Köln 1978, S. 99.
4 Robert Rosenblum, a.a.O.,
S. 78.
5 Franz Marc, Schriften,
a.a.O., S. 11.
6 Johannes Langner, Iphigenie
als Hund, a.a.O., S. 56f.
7 Ebd., S. 58.
8 Carla Schulz-Hoffmann,
Utopie und Abstraktion: Franz Marc und die Bedeutung romantischer Denkvorstellungen
für die Kunst der Moderne, in: Franz Marc: Kräfte der Natur
- Werke 1912-1915, Ausstell.-Kat. Staatsgalerie moderner
Kunst München, Ostfildern 1993, S. 175.
9 August Macke -
Franz Marc, Briefwechsel, Köln 1964, S. 118.
10 Johannes Langner,
Iphigenie als Hund, a.a.O., S. 67.
11 Johannes Langner,
Iphigenie als Hund, a.a.O., S. 67.
12 Ebd., S. 67.
13 Ebd., S. 68.
14 Ebd., S. 69.
15 Veit Loers, Zwischen
den Spalten der Welt - Franz Marcs okkultes Weltbild, in: Okkultismus
und Avantgarde. Von Munch bis Mondrian 1900-1915, Hg.: Veit Loers,
Ausstell.-Kat. Schirn-Kunsthalle Frankfurt, Frankfurt 1995, S. 269.
16 Karin von Maur,
"...von der Weltanschauung zur Weltdurchschauung", Franz Marc
und der Blaue Reiter im Kampf um die Moderne, in: Franz Marc Pferde,
Ausstell.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart, Ostfildern-Ruit 2003, S. 207.
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