Der ethnografische Blick als "Indianermaler"
Bodmers Darstellungen der Lebensweise indigener Völker des nordamerikanischen
Westens bilden bis heute wertvolle Zeugnisse einer zerstörten Kultur
und leisten als Ausdruck eines relativ vorurteilslosen, wissenschaftlichen
und von Respekt getragenen Blickes der Überlegenheitsdoktrin der
weissen Eroberer kaum Vorschub.1
Die Ausgangslage für Bodmers Werk als "Indianer-Maler",
die in die Bildsprache des Werks 'Hirsche im Wald' eingegangen
ist, lässt sich treffend wie folgt umschreiben: "Maximilian's
main object was the scientific observation and description of America's
fauna, flora, and native peoples, and Bodmer was employed by Maximilian
to produce the visual documentation for this work. Maximilian's
scientific purpose and Enlightenment view of mankind, including his respect
for non-European peoples and their cultures, not only determined Bodmer's
choice of subjects but also the realism with which he recorded them."2
Im vorliegenden, erst 1880 entstandenen Bild, wird eine für uns vertraute
Szene gezeigt, die Bodmers Nordamerikaerfahrung der 30-er Jahre mit dem
Realismus des 19. Jahrhunderts verbindet. Bodmer vermisst "die amerikanische
Wildnis schmerzlich. Die Wälder von Fontainebleau sind dafür
nur ein bescheidener Ersatz."3
Den Künstlern der Malerkolonie von Barbizon, denen sich Bodmer nach
1848 anschloss, ging es darum, "die Natur in ihrer Ursprünglichkeit
zu zeigen".4 "The
wildest forest landscapes that Maximilian and Bodmer encountered during
their travels are along the banks of Fox and Wabash rivers, where they
spent hours exploring, observing, hunting, and collecting (...). The forest
there was unlike anything in Europe; it was the landscape the two men
had come to America to see and to record. Both the writer and the artist
delighted in the abundance of flora and fauna and the tangled density
of primeval growth."5
Im Spannungsfeld von Realismus und Symbolismus
Das Gemälde 'Hirsche im Wald' folgt den konventionellen
Kompositionsprinzipien der Landschaftsmalerei, die Bodmer auf den
Forschungsreisen in Nordamerika schon angewandt hatte. Allerdings "the
scenes are wild and exotic from a European point of view. The scientific
purpose and activities of Maximilian's expedition placed a premium
on accurate obervation rather than picturesque composition or Romantic
sanctification of the American landscape."6
Im vorliegenden Werk nehmen die mit wissenschaftlicher Akribie gemalten
Äste der Bäume fast die halbe Bildfläche ein, während
die Stämme links und rechts dem Hauptmotiv der Hirsche als Rahmen
dienen. Der dominierende, mit einem Geweih versehene Hirsch und die
Herde sind wie Heilige in ein göttliches Licht getaucht. Dem Attribut
des Heiligen ist im Bild die Ferne durch das Licht als etwas Ursprüngliches
unterlegt, als würden die Hirsche wie aus einer andern, nicht mehr
abbildbaren, weil zerstörten Welt entstammen. Sears hebt anhand des
Landschaftsbilds 'In the woods' von Asher Durand aus dem Jahre
1855 den Unterschied zu Bodmers Malerei hervor. Die 'Hirsche im
Wald' von 1880 weisen bezüglich Effekt eine hohe Übereinstimmung
und Verwandtschaft zu Durands Bild von 1855 auf: "But the forest
interior he has created is a sanctuary of divine creation. The trees
over-arch with an openness and order that form a cathedral-like space.
Windows of sky above and in the distance admit a religious light which
gleams on the trunks of the standing and fallen trees. Durand's
forest interior appears ancient, like the monuments of European architecture,
not raw and chaotic like nature itself. (...) Bodmer does not shape the
forest into architecture or load it with religious reverberations. He
does not sanctify it."7 Wie
ist der Unterschied von Bodmers Landschaftsbildern der 30-er Jahre zu
Durand und dann die spätere Übereinstimmung um 1880 -
abgesehen von der romantischen Umhüllung des Zentralmotivs in einen
Nebel-Licht-Schleier - zu erklären? Mir scheint, dass die poetische
und religiöse Romantisierung der Hirsche inmitten dieser Waldlandschaft
etwas mit jener leisen Trauer zu tun hat, die den Verlust der amerikanischen
Wildnis und der darin lebenden Indianer und Tiere beklagt. In diesem Zusammenhang
mag das krass disproportionale Grössenverhältnis der Hirsche
zur Waldlandschaft ein wörtlicher wie auch symbolischer Hinweis bezüglich
dessen sein, was alles gegen Ende des 19. Jahrhunderts an realen Lebenszusammenhängen
wie auch an Ideenwelten am Schwinden begriffen ist. Gleichzeitig klingt
die Haltung des Symbolismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts an, der "als
Protest gegen den naturalistischen Lebensentwurf und die Materialisierung
und Mechanisierung des Daseins" (...) ein "mögliches
Ausdruckssymbol des inneren Lebens"8
auch für die Malerei postulierte.
1 Biografie und Werdegang
Bodmers ist aufgearbeitet in: Hans Läng, Indianer waren meine Freunde,
Leben und Werk Karl Bodmers 1809 - 1893, Bern & Stuttgart 1976.
Zur Problematik der Einwanderung siehe auch: Far West - Indianer
und Siedler im Amerikanischen Westen, Ausstell.-Kat. Kunsthaus Zürich,
Zürich 1976.
2 John F. Sears, Karl
Bodmer's Eastern Views, in: Karl Bodmer's Eastern Views -
A Journey in North America, Hg.: Marsha V. Gallagher, Ausstell.-Kat. Joslyn
Art Museum, Omaha, Nebraska 1996, S. 42.
3 Hans
Läng, Biografisches Lexikon der Schweizer Kunst, hg. vom Schweiz.
Institut für Kunstwissenschaft Zürich & Lausanne, 2 Bde.,
Zürich 1998, S. 128.
4 Ebd., S. 128.
5 John F. Sears, Karl
Bodmer's Eastern Views, a.a.O., S. 54.
6 Ebd., S. 55.
7 Ebd., S. 56.
8 Werner Haftmann, Malerei
im 20. Jahrhundert - Eine Entwicklungsgeschichte, München 1987
7, S. 42.
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