Rudolf Koller (1828-1905)
Springender Hund "Schnauzli", 1856, Öl auf Leinwand, 84 x 100 cm, Kunsthaus Zürich

Die Funktion der Studie
Das vorliegende Gemälde ist als kopiertes Bildelement beinahe unverändert in das grossformatige Werk 'Idylle am Hasliberg' (1864), Öl auf Leinwand, 238 x 208 cm eingegangen. Rudolf Koller geht es in den grossen Ölbildern darum, die Spannungsfelder von Figuren oder Figurengruppen und der Landschaft in der Weise auszuloten, dass die bereits geschaffenen Bildelemente im malerischen Kopierverfahren zu einander in Beziehung gesetzt, bzw. gewichtet werden. In diesem Prozess kommt dem Faktor Landschaft eine prinzipielle Bedeutung zu, weil sie als Vermittler von Figuren und Tieren auftritt, wie das anhand des Bildes 'Herbstweide' bereits verdeutlicht worden ist. Dieser Vorgang, dem das Bild 'Springender Hund 'Schnauzli'' in Form einer Studie als Einzelelement dient, sei mit folgenden Worten nochmals verdeutlicht: "Wie bei Zünd ist nun freilich die Bildkomposition nicht eine zufällige Momentaufnahme irgendwo aus der Natur. Der Ausschnitt ist behutsam gewählt, und die Figurengruppen sind komponiert, freilich ihrer natürlichen Kompositionsmöglichkeiten entsprechend"1: "Die 'Idylle' als ein Konstrukt aus naturalistischen Elementen."2

Der Realismus in historischer Perspektive
Adolf Reinle spricht vom "Ideal" (...) einer "magisch-naturalistischen" (...) "Wahrheitsmalerei"3: "die Erfassung der exakten Form und Bewegung, der Lokalfarbe und ihres Tonwertes und die natürliche Lichtführung mit Vorliebe für Gegenlicht und Streiflicht, das viel mehr als eine gleichmässige atelierhaft-eindeutige Lichtgebung den Eindruck des Wirklichen gibt."4 'Springender Hund 'Schnauzli'' darf deshalb ebenfalls als "ein Beispiel für einen fast sachlichen Naturalismus, den Koller in den Tier- und Figurenstudien kultivierte"5, gelten. "Entscheidend war auch nicht mehr das dramatisch-pittoreske Motiv, sondern das Naheliegende, das im anspruchslosen, beinahe zufälligen Ausschnitt erscheint."6 Dadurch werden die Assoziationen in Richtung eines fotografischen Schnappschusses im vorliegenden Fall gestützt. Mittels differenzierter Lichtführung folgt das Bild programmatisch dem Prinzip des Abbildens im Realismus, "eine Beobachtung oder Idee spontan umzusetzen"7. Das Interesse gilt der materiellen Wirklichkeit und nähert sich aufgrund der Ausdrucksqualitäten des Bildes den Eigenschaften der Fotografie. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist genau diese Funktion des Bildes den KünstlerInnen gewissermassen als Wirklichkeitsersatz erschienen, so dass neue Darstellungsformen "auf der Höhe der Zeit" erkundet wurden, um beispielsweise den wissenschaftlichen Aspekt der Bewegung ins Bild zu setzen, wie dies in Italien die Futuristen taten. "Die Mentalität dieser Kunst [der Realismus im 19. Jahrhundert] war einerseits durch die politische Kultur und die allgemeine historische Entwicklung geprägt. Eine eigene Motivwelt ermöglichte im Rahmen des gleichen Stils jedoch vielen einen eigenständigen Beitrag."8

Über den Künstler Wahrnehmungstext von Garda Alexander

1 Adolf Reinle, Kunstgeschichte der Schweiz, Bd. 4: Die Kunst des 19. Jahrhunderts, Architektur/Malerei/Plastik, Frankfurt a/Main 1962, S. 263.
2 Christoph Becker, Rudolf Koller - Kuh und Mensch, in: Rudolf Koller, Ausstell.-Kat. Kunsthaus Zürich, Zürich 2002, S. 17.
3 Adolf Reinle, Kunstgeschichte der Schweiz, a.a.O., S. 263.
4 Ebd., S. 263.
5 Christoph Becker, Rudolf Koller - Kuh und Mensch, a.a.O., S. 8.
6 Berge, Blicke, Belvedere, Kunst in der Schweiz von der Aufklärung bis zur Moderne aus dem Aargauer Kunsthaus Aarau, Ausstell.-Kat. Schirn Kunsthalle Frankfurt, Ostfildern-Ruit 1997, S. 43.
7 Peter Wegmann, Biografisches Lexikon der Schweizer Kunst, hg. vom Schweiz. Institut für Kunstwissenschaft Zürich & Lausanne, 2 Bde., Zürich 1998, S. 589.
8 Sibylle Omlin, Kunst aus der Schweiz - Kunstschaffen und Kunstsystem im 19. & 20. Jahrhundert, Zürich 2002, S. 42.