Die Funktion der Studie
Das vorliegende Gemälde ist als kopiertes Bildelement beinahe unverändert
in das grossformatige Werk 'Idylle am Hasliberg' (1864), Öl
auf Leinwand, 238 x 208 cm eingegangen. Rudolf Koller geht es in den grossen
Ölbildern darum, die Spannungsfelder von Figuren oder Figurengruppen
und der Landschaft in der Weise auszuloten, dass die bereits geschaffenen
Bildelemente im malerischen Kopierverfahren zu einander in Beziehung
gesetzt, bzw. gewichtet werden. In diesem Prozess kommt dem Faktor Landschaft
eine prinzipielle Bedeutung zu, weil sie als Vermittler von Figuren und
Tieren auftritt, wie das anhand des Bildes 'Herbstweide'
bereits verdeutlicht worden ist. Dieser Vorgang, dem das Bild 'Springender
Hund 'Schnauzli'' in Form einer Studie als Einzelelement
dient, sei mit folgenden Worten nochmals verdeutlicht: "Wie bei
Zünd ist nun freilich die Bildkomposition nicht eine zufällige
Momentaufnahme irgendwo aus der Natur. Der Ausschnitt ist behutsam gewählt,
und die Figurengruppen sind komponiert, freilich ihrer natürlichen
Kompositionsmöglichkeiten entsprechend"1:
"Die 'Idylle' als ein Konstrukt aus naturalistischen Elementen."2
Der Realismus in historischer Perspektive
Adolf Reinle spricht vom "Ideal" (...) einer "magisch-naturalistischen"
(...) "Wahrheitsmalerei"3:
"die Erfassung der exakten Form und Bewegung, der Lokalfarbe und
ihres Tonwertes und die natürliche Lichtführung mit Vorliebe
für Gegenlicht und Streiflicht, das viel mehr als eine gleichmässige
atelierhaft-eindeutige Lichtgebung den Eindruck des Wirklichen gibt."4
'Springender Hund 'Schnauzli'' darf deshalb ebenfalls
als "ein Beispiel für einen fast sachlichen Naturalismus, den
Koller in den Tier- und Figurenstudien kultivierte"5,
gelten. "Entscheidend war auch nicht mehr das dramatisch-pittoreske
Motiv, sondern das Naheliegende, das im anspruchslosen, beinahe zufälligen
Ausschnitt erscheint."6
Dadurch werden die Assoziationen in Richtung eines fotografischen Schnappschusses
im vorliegenden Fall gestützt. Mittels differenzierter Lichtführung
folgt das Bild programmatisch dem Prinzip des Abbildens im Realismus,
"eine Beobachtung oder Idee spontan umzusetzen"7.
Das Interesse gilt der materiellen Wirklichkeit und nähert sich
aufgrund der Ausdrucksqualitäten des Bildes den Eigenschaften der
Fotografie. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist genau diese Funktion des
Bildes den KünstlerInnen gewissermassen als Wirklichkeitsersatz erschienen,
so dass neue Darstellungsformen "auf der Höhe der Zeit"
erkundet wurden, um beispielsweise den wissenschaftlichen Aspekt der Bewegung
ins Bild zu setzen, wie dies in Italien die Futuristen taten. "Die
Mentalität dieser Kunst [der Realismus im 19. Jahrhundert] war einerseits
durch die politische Kultur und die allgemeine historische Entwicklung
geprägt. Eine eigene Motivwelt ermöglichte im Rahmen des gleichen
Stils jedoch vielen einen eigenständigen Beitrag."8
1 Adolf Reinle, Kunstgeschichte
der Schweiz, Bd. 4: Die Kunst des 19. Jahrhunderts, Architektur/Malerei/Plastik,
Frankfurt a/Main 1962, S. 263.
2 Christoph
Becker, Rudolf Koller - Kuh und Mensch, in: Rudolf Koller, Ausstell.-Kat.
Kunsthaus Zürich, Zürich 2002, S. 17.
3 Adolf Reinle, Kunstgeschichte
der Schweiz, a.a.O., S. 263.
4 Ebd., S. 263.
5 Christoph Becker, Rudolf
Koller - Kuh und Mensch, a.a.O., S. 8.
6 Berge,
Blicke, Belvedere, Kunst in der Schweiz von der Aufklärung bis zur
Moderne aus dem Aargauer Kunsthaus Aarau, Ausstell.-Kat. Schirn Kunsthalle
Frankfurt, Ostfildern-Ruit 1997, S. 43.
7 Peter
Wegmann, Biografisches Lexikon der Schweizer Kunst, hg. vom Schweiz.
Institut für Kunstwissenschaft Zürich & Lausanne, 2 Bde.,
Zürich 1998, S. 589.
8 Sibylle
Omlin, Kunst aus der Schweiz - Kunstschaffen und Kunstsystem im 19. & 20.
Jahrhundert, Zürich 2002, S. 42.
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