Jan Mankes (1889-1920)
Wit konijn, 1909, olieverf op doek op board, 17,5 x 30 cm, Centraal Museum, Utrecht

Einleitung
Da mir weder kunsthistorische Studien über das Werk und Leben von Jan Mankes noch farbige Reproduktionen anderer seiner Bilder zugänglich sind, fehlt mir jegliche vernünftige Materialbasis für einen eigenen Interpretationsansatz, der kunstwissenschaftlichen Ansprüchen genügen würde. Ich beschränke mich deshalb auf eigene Beobachtungen und versuche mich beschreibend dem Bedeutungsgehalt des Bildes zu nähern. Was die tradierte, vorwiegend christliche Symbolik des Hasen betrifft, stütze ich mich auf einen entsprechenden Wörterbuch-Auszug.

Deutende Wahrnehmung
Das querformatige Bild zeigt die Seitenansicht eines Kaninchen in einem hypothetischen Innenraum. Das Bild ist in die Elemente Unterlage, Kaninchen und Wand gegliedert, denen entsprechend ein eigener Farbton zugeordnet ist. Die Unterlage ist in Ocker und die Wand in Ocker-braun gehalten, während das Kaninchen einen pastellfarbigen Ockerton trägt. Die Perspektive ist so gewählt, dass der/die BetrachterIn das Tier auf gleicher Ebene im Close-Up flach erfasst, was eine Gleichwertigkeit von Bildgegenstand und BetrachterIn suggeriert. Die Nahaufnahme verdeutlicht auf diese Weise die empathische Haltung und Nähe des Malers zu seinem Motiv. Das Auge des Kaninchens ist auffällig in dunklem Braun ausgeführt und zieht durch den farblichen Kontrast die Aufmerksamkeit des Betrachtenden auf sich. In dieser suggestiven Anlage des scheuen, ängstlichen und abwartenden Blickes wird die Vorstellung von der Gleichwertigkeit von Mensch und Tier in ihrer Verletzlichkeit gesteigert. Zugleich bietet sich das Kaninchen in diesem unbestimmbaren und unbelebten Innenraum dem/der BetrachterIn als Objekt dar, der/die sich - von der Unmittelbarkeit des Auges getroffen - der Begierde des eigenen Blickes gewahr wird und zurückweichen möchte. Jan Mankes erhebt durch die gewählte Ansicht keinen Anspruch, das Kaninchen in seiner existentiellen Totalität darzustellen. Die Seitenansicht blendet die andere Hälfte des Tieres aus, und das Bildformat verdeutlicht zugleich das Grössenverhältnis von Tier und Mensch, so dass Jan Mankes sowohl in der Wahl des Augenpunktes als auch der Ansicht und der Massstäblichkeit nicht auf Gleichheit, hingegen auf wesenhafte Verwandtschaft rekurriert und uns zugleich den Objektcharakter des Tieres erfahren lässt.

Die verwendeten Ockerfarbtöne lassen eine Beziehung zu Van Gogh vermuten. Der Farbauftrag ist flächig und verzichtet daher ganz auf die Herausarbeitung feiner Oberflächenstrukturen. Indem der Maler sein Motiv auf die Form und die sich verändernden Farbklänge reduziert, entledigt er sich des Dekorativen und Geschwätzigen. Mankes lehnt einen durch körperliche Plastizität und Zentralperspektive vermittelten räumlichen Illusionismus ab. Eine ganz auf die Flächigkeit reduzierte Bildauffassung - hier im selben Grundton - hat demnach die einfühlsame Verdeutlichung der Wesenszüge des Bildgegenstands zum Ziel, um den/die BetrachterIn emotional zu berühren. In dieser künstlerischen Haltung wäre Mankes Gemälde in Aspekten verwandt mit dem Werk von Paula Modersohn-Becker. Dieser affektiven Zuwendung steht eine eigentümliche Nüchternheit in der Präsentation des Bildgegenstandes in einem eigenschaftslosen Raum gegenüber, die dem ganzen Bildgeschehen eine vermehrte Dinglichkeit verleiht.

Christliche Symbolik
Auf der symbolischen Deutungsebene unterscheide ich nicht zwischen einem Kaninchen und Hasen, obwohl eine solche Differenz natürlich biologisch besteht. "Ambrosius verstand den Hasen und seine mit der Jahreszeit wechselnde Färbung als Symbol der Auferstehung; der gleiche Gedanke findet sich beim eierlegenden Osterhasen mit der vorchristlichen Fruchtbarkeitssymbolik vereint. Bei Marienbildern ist der Hase als Anspielung auf die gesegnete Fruchtbarkeit zu verstehen. Die früher als Dreifaltigkeitssymbol gedeuteten drei Hasen in einem Kreis (z.B. Paderborner Dom) werden heute überwiegend lunar oder im Hinblick auf die Schnelligkeit des Hasen als Symbol der Zeit verstanden. Das schwächliche, gehetzte Tier wurde im Volksmund zu einem Bild der Furchtsamkeit ("Hasenfuss")."1

Weiterer Bezug in Mankes Schaffen
Aus dem Jahre 1911 existiert eine andere, leicht modifizierte Fassung des Motivs in den noch kleineren Massen 12 x 19 cm. Das Bild "Wit konijntje" ist in einem kleinen Ausstellungskatalog aus dem Jahre 1969 des Gemeentemuseum Arnhem schwarz-weiss reproduziert.2 Die schmalen Ohren sind senkrecht aufgerichtet und das Fell läuft an manchen Stellen spitzenartig aus, so dass sich keine relativ geschlossene runde Form des Körpers mehr ergibt.

Über den Künstler Wahrnehmungstext von Garda Alexander

1 Manfred Lurker, Wörterbuch der Symbolik, Stuttgart 1991 5, S. 277.
2 Jan Mankes, Schilderijn tekeningen grafiek, Ausstell.-Kat. Gemeentemuseum Arnhem, Arnhem 1969, Nr. 61.